Heute war Lecture Day im Kunsthaus in Graz. Veranstaltet wurde das Ganze von einer Gruppe von FH-Studenten, die sich selbst Strebergruppe nennen, und die genau wie der Großteil des Publikums, gerade Informations-Design an der FH Joanneum studieren.
Wir hatten als ehemalige FH-Studenten, die Möglichkeit über unsere bisherigen Erfahrungen als Selbstständige zu berichten. Zusammenfassend für jeden, der heute nicht im Kunsthaus war, habe ich die besprochenen Punkte noch einmal in diesem Blog-Artikel zusammengefasst.
1. Ein Unternehmen ist wie ein Bauernhof
Warum? Weil man die Dinge nicht beschleunigen kann und kurzfristiges Denken unangemessen ist. Wer im Frühjahr vergisst zu säen und den ganzen Sommer nur rumhängt, kann im Herbst keine Ernte einfahren, auch wenn er oder sie den Boden mit ganzer Kraft bearbeitet. Dieses Beispiel ist aus Stephen R. Coveys Principle-Centered Leadership und ein schöner Einstieg in diesen Artikel, weil es bildhaft zeigt, dass erfolgreiche Unternehmer – genau wie erfolgreiche Farmer – keine wagemutigen Draufgänger, sondern klug arbeitende Menschen mit Weitblick sind.
2. Full-Service ist Schwachsinn
Viele die das hier lesen, wissen wie man ein Logo gestaltet, können Dokumente setzen und Webseiten entwickeln – doch nur weil man etwas kann, heißt das nicht, dass man es auch tun sollte. Das Dümmste was man als Selbstständiger machen kann ist, sich das Label Full-Service auf die Stirn zu stempeln. Hier kommen die 2 Gründe dafür: 1.) Jede Agentur wird als Konkurrent angesehen, so dass es kein Potential für Synergien gibt, und 2.) wer versucht alles zu tun und sich überall auszukennen, kann am Ende nichts wirklich gut und kennt sich bei gar nichts richtig aus.
Blog-Artikel zum Thema: Das größte Problem eines selbstständigen Designers
3. Die Firma zahlt nichts
Als Selbstständiger gibt es keine Firma, die für Spesen und ausstehende Gehälter aufkommt. Wenn wir auf Firmenrechnung essen gehen, zahlen wir. Es gibt keine Firma, die unsere Rechnung übernimmt. Das heißt kein 13. und 14. Montagsgehalt, keine bezahlten Überstunden, keine Spesen, keine Vergünstigungen und kein Arbeitslosengeld, wenn’s nix wird. Aber gut, das haben wir vorher gewußt – es kommt trotzdem vor, dass man es zwischendurch vergisst und sich bei manchen Ausgaben denkt: Zahlt eh die Firma.
4. Ein eigenes Büro wird überbewertet
Wer hat ihn nicht, den Traum vom eigenen Büro. Träumen ist erlaubt, sich aber als erste Amtshandlung, gleich eine monatliche Fix-Ausgabe von mehreren hundert Euro aufzubürgen, ist verboten. Und außerdem, was ist so toll an einem eigenen Büro? Das Putzen oder meinetwegen die Bezahlung der Putzfrau? Oder ist es das Geld, dass man für den eigenen Drucker und die eigene Internetleitung bezahlen muss? Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man sich ein Büro mit anderen Firmen teilen. Und wenn das nicht geht? Vielleicht kann man ja von zu Hause aus arbeiten.
5. Je länger wir dafür planen, desto länger brauchen wir
Schon einmal von Parkinsons Gesetz gehört? Es besagt, dass sich Arbeit in genau dem Maß ausdehnt, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht. Das heißt, wenn wir planen, dass ein Projekt drei Monate dauert, dann dauert dieses Projekt auch drei Monate. Selbst wenn wir die eigentliche Arbeit in einer Woche hätten schaffen können. Wenn wir von Anfang an davon ausgehen, drei Monate für eine Arbeit zu brauchen, dann ist diese Annahme der Grund dafür, dass wir wirklich drei Monate dafür benötigen, auch wenn wir wesentlich schneller hätten sein können.
6. Es gibt keine 40-Stunden-Woche
Jetzt wo wir Parkinsons Gesetz kennen: Sollten wir wirklich jeden Tag standardmäßig für 8 Stunden im Büro sitzen? Auch wenn wir um 11 mit unserer Arbeit fertig sind, bis 5 am Nachmittag bleiben, nur weil das alle andern auch machen? Wenn ich sage, dass es keine 40-Stunden-Woche gibt, meine ich nicht, dass Selbstständige 60, 80 oder mehr als 100 Stunden die Woche arbeiten – ich meine, dass wir nicht arbeiten sollten, nur damit wir eine vorgesehene Stundenanzahl erreichen. Wir sind keine Fabriksarbeiter, und unsere Leistung steigert sich auch nicht dadurch, dass wir uns von der Arbeit verbrauchen lassen.
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7. Mehr Arbeit ist nicht dasselbe wie mehr Geld
Als wir Simplease gegründet haben, dachten wir, es würde reichen, fleißig zu arbeiten, um genug Geld zu verdienen. Nun, es reicht nicht. Auch wenn jeder von uns, 100 Stunden in der Woche arbeitet, haben wir nichts davon, wenn diese Arbeit kein Geld bringt. Brav zu arbeiten und darauf zu hoffen, dass alles gut wird, hat vielleicht einmal funktioniert – wir haben aber gelernt, dass es nicht darum geht, rund um die Uhr zu arbeiten, sondern darum, die richtigen Arbeiten zu erledigen. Fleißig zu sein und viele Dinge zu tun, ist kein Ersatz dafür, die richtigen Dinge zu tun.
Blog-Artikel zum Thema: Fleiß wird vollkommen überbewertet
8. Assistenten werden schlecht bezahlt
Seit unserem ersten Arbeitstag waren wir Studenten. Egal zu welchem Meeting wir gingen und mit welchen Leuten wir sprachen, in den Augen der Meisten waren wir Studenten. Schlimmer noch, wir waren Assistenten. Wir gestalteten das Briefpapier, warteten die Webseite, machten Inserate und Flyer. Wir erfüllten unseren Kunden jeden noch so geringen Wunsch – wie gute Assistenten eben so sind. Das Problem dabei ist, dass Assistenten schlecht bezahlt werden. Der Grund dafür ist, dass sie austauschbar sind, weil nächsten Herbst ein neuer Jahrgang voller Assistenten aus den FHs und Unis in die Arbeitswelt entlassen wird.
9. Wir müssen unseren Kunden sagen, was sie wollen
Kennt ihr diese Clients from Hell Comics? Ich denke man sollte sie in Designers from Hell umbenennen. Grundlage dieser Comics ist meist ein völlig absurder Wunsch eines Kunden oder eine unverständliche Äußerung des Kunden in Bezug auf die Ergebnisse des Designers. Liebe Designer, das ist vollkommen normal und passiert so gut wie jeden Tag. Die richtige Reaktion ist nicht, zu jammern wenn man solche Aussagen hört, sondern einzusehen, dass man es entweder nicht geschafft hat, eine richtige Erwartungshaltung beim Kunden zu wecken oder, dass man nicht genug hinter seiner Arbeit steht, um diese auch gegen Kritik verteidigen zu können.
10. Die zweite Nachricht ist die wichtigste
Wer kennt sie nicht, die To-dos, die sich als ungelesene E-Mail Nachrichten im Posteingang stapeln. Also schnell auf die lästige E-Mail des Kunden geantwortet und erledigt ist das To-do. Ab jetzt ist der Kunde verantwortlich. Die Deadline rückt näher? Egal, es kam ja noch keine Nachricht mit Änderungswünschen. Also wird wohl alles in Ordnung sein. Oder? Wir haben gelernt, dass Rückfragen auf von uns verschickte Nachrichten, zahlreiche Probleme bereits im Vorfeld lösen können. „Haben Sie die Nachricht erhalten? Haben Sie Anmerkungen zu den Entwürfen? Benötigen Sie Hilfe beim Öffnen der Dateien?“ Es liegt in unserer Verantwortung, dass Deadlines eingehalten werden. Auch wenn es die Deadlines unserer Kunden sind.
11. Nie, nie, nie eine Deadline versäumen. NIE!
Während unserer FH-Zeit gab es diese Bezeichnung Deadline-Junkies für unorganisierte Studenten, die immer erst dann mit der Arbeit begonnen haben, als es nicht mehr anders ging. Als Folge daraus haben sich die meisten Abgaben natürlich verzögert und Termine wurden verschoben. Dieses Verhalten ist tödlich als Selbstständiger. Selbst wenn die Deadline im Einverständnis mit einem Kunden verschoben wird, heißt das, dass man Zeit und damit Geld verliert. Und wie bereits erwähnt – das ist unsere Zeit und unser Geld, nicht das Geld irgendeiner Firma.
12. Vertrauen ist die Grundlage für alles Weitere
Egal ob in einer Beziehung zwischen Eltern und Kind, in einer Partnerschaft, einer Freundschaft oder in einer geschäftlichen Beziehung: Ohne Vertrauen können wir gleich Schluss machen. Mit Vertrauen wird hingegen alles einfacher. Eltern vertrauen ihren Kindern, Partner vertrauen einander, ein Freund kann sich auf einen Freund verlassen und unsere Kunden wissen, dass wir rechtzeitig die Ergebnisse liefern, die sie von uns erwarten. Wenn wir Vertrauen aufbauen und täglich etwas für dieses Vertrauen tun, werden unsere Beziehungen nicht nur unkomplizierter, sondern auch wertvoller.
13. Es kann nur Eine/n geben
Damit einem andere Menschen vertrauen, damit man Deadlines einhalten kann, damit man seinen Kunden sagen kann, was sie wollen und für all die anderen Dinge, die uns als Selbstständige weiterbringen, muss es einen Verantwortlichen geben. Insgesamt sind wir natürlich alle verantwortlich, aber für jede einzelne Tätigkeit und jede einzelne Aufgabe muss genau eine einzige Person verantwortlich sein. Wenn außer mir noch drei andere verantwortlich sind, brauche ich nicht mehr verantwortlich zu sein. Wenn das jeder so sieht, ist in Wahrheit keiner mehr verantwortlich. Wenn ihr also etwas wirklich Sinnvolles und Großartiges machen wollt, liegt das in eurer Verantwortung – in der jedes und jeder Einzelnen von euch.
Blog-Artikel zum Thema: Es kann nur Einen geben
Nächster Artikel: Fragen, die sich Interface-Designer bei der Arbeit stellen
Philipp Rappold — 12. November 2011
Lässiga Vortrag! Sympathisch und bodenständig. Echt guat
Gerlinde Gruber — 13. November 2011
ich kann alles unterschreiben was da steht!
anna — 13. November 2011
So schad dass ich nicht dabei war. Deshalb find ich es umso besser, dass ihr euren Vortrag online habts. Danke
Eva Eisner — 13. November 2011
es knackig auf den Punkt bringen, das könnte ihr :)
Stefan — 14. November 2011
Danke für eure Kommentare und danke an jeden, der am Samstag zugehört hat. Es ist immer wieder unglaublich vor Leuten sprechen zu dürfen, die wirklich zuhören und sich dafür interessieren, was man ihnen zu erzählen hat. :)
Dass jetzt auch noch so viele Leute den Blog-Artikel lesen, ist das Schönste, was ihr für uns machen könnt. Wir wissen das zu schätzen und werden weiterhin (hoffentlich) hilfreiche und interessante Artikel für euch schreiben.
Natascha — 14. November 2011
Super Vortrag :) alles schön auf den Punkt gebracht und dabei noch unterhaltsam! :D Freu mich dass ich schon 3 von euch im Unterricht haben durfte, macht’s nur weiter so. :) LG Natascha (IND09)
Alex Mattersberger — 17. November 2011
immer wieder angenehm eure artikel durchzulesen!
Philipp Rudler — 18. November 2011
Top!
miro — 18. November 2011
top beitrag!
Stephanie — 18. November 2011
i like :)
david — 18. November 2011
word
christian — 23. November 2011
punkt 5 bzgl projekt dauer ist 100% richtig. es gibt das zitat „arbeit braucht so lange wie für diese zeit ist“ .. leider weiß ich nicht mehr wer das gesagt hat.
Stefan — 24. November 2011
@christian: Ich denke du sprichst genau von Parkinsons Gesetz.
„Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht“
Der brititsche Soziologe C. Northcote Parkinson hat mehrere solcher Gesetze veröffentlicht. Darunter auch das Gesetz der Verschwendung:
„Ausgaben steigen stets bis an die Grenzen des Einkommens.“
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Gernot — 24. Dezember 2011
prägnant und informativ, super!
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