Egal ob Designer, Texter oder Programmierer – als Kreative ein Angebot zu schreiben, stellt uns vor eine schwierige Aufgabe. Wir müssen unseren Arbeitsaufwand schätzen und einen Projektplan für Arbeiten erstellen, die wir erst in einigen Wochen oder Monaten machen werden.
Wie soll man z.B. den Arbeitsaufwand für die Programmierung einer Webseite schätzen, wenn man noch nicht weiß, wie das User Interface aussehen wird? Wie soll man das User Interface entwickeln, wenn man noch nicht weiß, was sich die Benutzer der Webseite erwarten? Wie soll man wissen, was sich die Benutzer erwarten, wenn man noch nicht mit ihnen gesprochen hat? Und vor allem: Wie soll man das alles in einem Angebot erkären?
Gleich als Erstes: Erklären sollte man in einem Angebot gar nichts. Die meisten Kunden durchsuchen ein Angebot nämlich nach genau 2 Informationen:
- Wie viel muss ich dafür bezahlen?
- Wie lange muss ich darauf warten?
Wenn wir diese beiden Fragen richtig beantworten, haben wir einen neuen Kunden gewonnen. Und dabei bringt eine perfekte Schätzung unseres Arbeitsaufwands ohnehin nichts.
Der richtige Preis
Der richtige Preis hängt nicht nur davon ab, wie viel unsere Arbeit wert ist, sondern vor allem davon, was unsere Kunden dafür bezahlen wollen. Wir sollten deshalb aufhören, Fantasie-Stunden zu verplanen und damit beginnen, unseren Kunden in den Mittelpunkt der Angebotslegung zu stellen.
Natürlich müssen wir ein Gefühl für den Umfang eines Projekts bekommen, um einen Preis festzulegen. Das brauchen wir nicht nur um einen fairen Preis für unseren Kunden zu finden, sondern auch dafür, einen fairen Preis für uns zu finden. Bei all der Rücksicht für unsere Kunden, müssen wir darauf achten, keine Projekte zu machen, die mehr Arbeit machen, als sie Geld bringen.
Ich denke der angebotene Preis hängt demnach von 3 Kriterien ab:
- Erwartungshaltung unseres Kunden
- Wirtschaftlichkeit für uns
- Tatsächlicher Arbeitsaufwand
Die Reihenfolge stimmt übrigens. Die Erwartungshaltung unseres Kunden ist am wichtigsten, weil unser Kunde derjenige ist, der das Angebot annimmt oder ablehnt. Danach kommt die Wirtschaftlichkeit für uns, weil wir keinen zu niedrigen Preis anbieten dürfen. Schließlich spielt auch der Arbeitsaufwand noch eine Rolle. Er kommt aber am Ende, weil wir zur Zeit der Angebotslegung nur spekulieren können, wie lange wir wirklich für unsere Arbeit brauchen werden.
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Den richtigen Preis zu finden, heißt diese drei Faktoren miteinander in Einklang zu bringen. Wichtig anzumerken ist dabei, dass der Preis nicht von unserer Erwartungshaltung abhängt. Wenn wir eine Anfrage eines Kunden erhalten, ist das Erste, was wir automatisch tun, uns Bilder der fertigen Lösung vor unserem geistigen Auge vorzustellen. Wir sehen bereits ein perfektes Design, das zum Aushängeschild unseres Portfolios werden wird. Das ist schön für uns, es darf aber keinen Einfluss auf den Preis für unseren Kunden haben.
Die richtige Dauer
Sobald wir den Preis gefunden haben, stellt sich noch die Frage, wie lange wir dafür brauchen. Oder besser gefragt: Wie lange dürfen wir dafür brauchen? Wenn wir bei einem Projekt 10.000 Euro verdienen, dürfen wir dafür keine 3 Monate brauchen. Wir müssen es in ein paar Wochen schaffen, sonst verbringen wir zu viel Zeit damit, Arbeiten zu erledigen, die nicht einmal unsere Miete bezahlen können. Und dann wird aus unserer Arbeit schnell ein anstrengendes Hobby.
Eine kürzere Projektdauer hat nicht nur den Vorteil, dass wir mehr Zeit für andere Arbeiten haben, sondern führt auch noch dazu, dass wir unserem Kunden einen besseren Preis anbieten können. Je kürzer wir dafür brauchen, desto weniger müssen wir dafür verlangen. Und wer Punkt 5 dieses Artikels kennt, weiß, dass sich Arbeit ohnehin solange ausdehnt, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.
Der richtige Preis und eine möglichst kurze Projektdauer sind mindestens 80% des Angebots. Wenn die beiden stimmen, haben wir gewonnen, selbst dann, wenn der Rest des Angebots nicht hundertprozentig passt. Andererseits können wir eine Woche am perfekten Angebot herumtüfteln und ein Dokument setzen, dass einen Design-Award gewinnen sollte, und verkaufen trotzdem nichts, wenn wir die Erwartungshaltung unseres Kunden nicht verstanden haben.
Was meint ihr dazu?
Wir haben in den letzten Jahren vieles ausprobiert. Wir haben teilweise nach Stunden abgerechnet, teilweise den Arbeitsaufwand im Vorfeld stundengenau geschätzt und unsere Angebote teilweise so geschrieben, wie ich es in diesem Artikel erklärt habe. Was ist eure Erfahrung mit Angeboten? Was funktioniert für euch, was funktioniert nicht? Seid ihr mit uns einer Meinung oder findet ihr das lächerlich?
Es würde mich freuen, eure Ansichten zu hören und ich glaube, dass wir eine Menge voneinander lernen können, um in Zukunft bessere Angebote zu schreiben und bessere Arbeit zu machen.
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Philipp Rudler — 6. Januar 2012
Ich bin ja momentan noch ein EPU im Bereich Filmproduktion. Auf Neideitsch freelancer.
Bei mir hat sich das bisher immer in zwei Bereiche geteilt: Einerseits Anfragen für komplette (Film-/Animations-)Projekte, andererseits die Anfragen für softwarefokussierte Unterstützung, sprich „He du kannst After Effects, hast du 5 Tage Zeit?“
Beim Softwarefokus habe ich einen ausgeklügelten Tagessatz, den ich schlicht mit der Anzahl der angefragten Tage multipliziere. Dann schlage ich ca. 15-20% drauf, um so einen Verhandlungsrahmen zu haben.
Bei kompletten Projekten tu’ ich mir auch schwer. Für mich spielen folgende Faktoren eine Rolle:
Sind diese Fragen beantwortet, berechne ich wieviele Tage ich für Stilfindung, Animatic, Animation, Rendering, Vertonung und Feintuning brauche. Die Anzahl multipliziere ich wiederum mit meinem Tagessatz und eventl. dem Tagessatz eines zweiten freelancers (falls support notwendig ist), schlage 15-20% drauf um wieder Verhandlungsspielraum zu haben.
Meine persönlichen Lebenserhaltungskosten sind vergleichsweise gering, deshalb reichen über’s Jahr gerechnet ca. 5 größere Projekte für mich. Dazu kommen noch meine Einnahmen als VJ und Minijobs.
All das hat jedoch bald wieder ein Ende, weil ich ein Angebot für eine Fixanstellung angenommen habe - das ist aber eine andere Geschichte.
Vielen Dank für eure Offenheit.
Thiemo Gillissen — 6. Januar 2012
Super Artikel, Dankeschön!
Ich versuche alle Projekte auf Budgetbasis auszulegen. Das schaffen nicht alle Kunden, und manche können mit dem Ansatz nichts anfangen, das sind dann aber auch meistens die, mit denen man eher nicht zusammen arbeiten möchte. (Hier ein gutes Interview mit Erik Spiekermann: http://youtu.be/ZA_LtAyaZDo?t=5m49s) Der Kunde weiß fast immer was er möchte (wenn auch meistens nicht WIE), aber er weiß in 90% der Fälle auch ganz genau wieviel er dafür ausgeben kann/will. Es ist somit beiden Seiten nur geholfen, wenn das von Anfang an klar ist. Demnach kann das Budget vom Kunden mit dem Stunden-/Tages-/Mitarbeiter-Satz dividiert werden und man bekommt die zur Verfügung stehenenden zeitlichen Ressourcen. Dann entscheide ich, ob die Anforderungen vom Kunden sich mit dem Zeitaufwand meinerseits/unsereseits verheiraten lassen, und ob das ausreicht um das auf einem Qualitätsniveau abzulieferen, das sich nicht nur wirtschaftlich rechnet, sondern auf das man auch stolz sein kann.
Zur Info: Mein hauptsächliches Projektumfeld ist Design/Development/Marketing, sehr breit gefächert. Der beschriebene Ansatz funktioniert erfahrungsgemäß bei Projekten im mittleren Aufwandssegment (50-500 PT) sehr gut. Alles darunter auf reiner Stundenbasis. Alles darüber mit agilen Methoden (Wir verwenden eine abgewandelte Variante von SCRUM).
Wie steht Ihr zum Thema Free-Pitches?
Stefan — 9. Januar 2012
@Philipp: Die Geschichte mit dem Softwarefokus sieht bei uns ähnlich aus, wenn wir einmal nur die Umsetzung einer Webseite machen. Dafür gibt es einen fixen Satz und so viel kostet der Spaß. Ich finde es interessant, dass du von einem Tagessatz sprichst, weil wir das schon einmal von jemandem gehört haben. Wir verrechnen auf Stundenbasis – weil uns das von Anfang an bekannt war. Ich denke aber, dass die Abrechnung nach Tagen wesentlich einfacher und nachvollziehbarer ist. Vom psychologischen Vorteil einmal abgesehen :)
Und das Thema mit den niedrigen Lebenserhaltungskosten ist natürlich wahr. Dazu kommt noch, dass wir keine strengen Strukturen brauchen und im Gegensatz zu großen Agenturen, kein Geld für selbsterfundene Arbeiten und Highend-Büroräume aufschlagen müssen.
@Thiemo: Du sprichst den alles entscheidenden Punkt an: Es gibt Kunden, mit denen man in Wahrheit nicht zusammenarbeiten möchte. Kunden die z.B. einen Free-Pitch wollen, gehören definitiv zu dieser Gruppe. Es gibt da diesen Artikel von Philipp von envis precisely, der das Thema Pitches meiner Meinung nach, perfekt auf den Punkt bringt.
Gerulf — 9. Januar 2012
Auch wenn die Brötchen die auf dieser Seite der Leitung gebacken werden vergleichsweise klein sind, fällt nach kurzer Zeit des selbstständigen arbeitens bereits auf, dass ein Angebot vor allem weitestgehende Transparenz bieten sollte.
Je nach Erfahrung, Umfang des Projekts und auch je nach kalkulierbaren Fixposten, sollte man versuchen in einem Angebot die einzelnen Posten so klar wie möglich darzulegen.
Auch wenn der Kunde nicht jeden Begriff sofort entschlüsseln kann, so hilft es diesem zumindest sich ein Bild davon zu schaffen was der Umfang des Projektes ist. Das hilft auch immens, weil der potentielle Kunde vorab nachfragen kann was es mit XYZ auf sich hat, warum XYZ so und soviel kostet und ob XYZ notwendig ist, günstiger sein kann etc.
Das schafft vorab schon eine Art der Beratung und Gesprächsbasis die nicht weh tut und im Laufe eines Projektes ein wenig die potentiellen Reibereien rausnimmt. Der mögliche Kunde kann sich informieren und wirft dadurch nicht nur Geld in eine Black-Box die irgendwann irgendwas ausspuckt.
Um das zu illustrieren: Wenn man in ein Angebot als einzigen Posten „Image-Video > XXXXX EUR“ schreibt, darf man sich auch nicht wundern, wenn eines Tages ein Anruf kommt und man in Erklärungsnot gerät warum z.B. die „Post-Production“ so und so lange dauert. Da ist es dann egal, ob es echten zeitlichen Verzug gibt oder ob der Kunde nur annimt, dass man schleißig arbeiten würde.
Aber eine Grundlage muss immer bestehen: Die Wirtschaftlichkeit. Ihr sprecht es schon im Artikel an aber ich zitiere hier (nicht wortwörtlich) trotzdem meinen alten Herren „Kannst du von dem leben was du bekommst? Kannst du dein Essen, deine Miete, deine Heizung, deine Versicherung etc. bezahlen?“. Hat man bei einem Angebot das Gefühl, dass diese Fragen unzureichend zu beantworten sind, sollte man sich hinsetzen und überlegen ob nicht doch ein paar mehr Groschen verrechnet werden müssen.
Stefan — 9. Januar 2012
@Gerulf: Du sagst es, Transparenz ist König. Um das Black-Box-Problem zu vermeiden und unsere potentiellen Auftraggeber bereits im Vorfeld ausreichend zu informieren, sprechen wir vor endgültiger Auftragserteilung öfters mit ihnen. Wir treffen uns entweder persönlich, sprechen am Telefon oder schreiben E-Mails. Je mehr wir mit unseren Auftraggebern sprechen können, desto mehr erfahren sie über uns und desto mehr lernen sie auch uns selbst kennen. Sie merken hoffentlich, dass sie uns vertrauen können und wir ihnen nicht einfach etwas verkaufen wollen, sondern eine erstklassige Arbeit abliefern möchten – in unserem, wie in ihrem Interesse.
Was ich sagen will ist, dass ein Angebot keine gute Gesprächsbasis ist. Natürlich können unsere Auftraggeber nachfragen, was es mit XYZ auf sich hat, eigentlich sollte es ihnen aber egal sein können. Sie sollten so von uns überzeugt sein, dass sie ein Angebot nur noch durchblättern und nach der Zahl mit dem Eurozeichen suchen, um darüber nachzudenken ob das Angebot für sie passt oder nicht. Wenn sie dann eine Entscheidung treffen, ist ihnen der restliche Inhalt unseres Angebots egal. Sie denken dann über unsere bisherigen Begegnungen nach und fragen sich, ob wir gut genug sind, um herauszufinden, was sie brauchen, selbst wenn sie es selbst noch nicht genau wissen. Und dann fragen sie sich, ob sie uns ihr Vertrauen schenken sollen.
In dem Moment, in dem wir das Vertrauen unserer Auftraggeber bekommen und unser Angebot angenommen wird, wird uns eine Pflicht übertragen. Es liegt von da an in unserer Hand, dass es während eines Projekts nicht zu Reibereien und zeitlichem Verzug kommt. Und wenn unser Auftraggeber doch einmal das Gefühl hat, wir würden in zeitlichen Verzug geraten, dann bewahrt uns ein Angebot ohnehin nicht vor einem Anruf. Sollte es wirklich einmal passieren, wäre es sogar gut, dass wir wieder mit unserem Auftraggeber sprechen und klären können, warum es so scheint, dass wir langsam arbeiten würden (z.B. während einer Recherche-Phase in der oft tagelang kein echter Fortschritt zu sehen ist.).
Versteh mich nicht falsch, wir schreiben auch Pakete und Leistungen in unsere Angebote. Wir machen aber nicht mehr ganz so eine Kunst daraus. Früher haben wir oft mehr als einen Tag damit verbracht, den Inhalt eines Angebots zu besprechen. Wir zu viert im Team, ohne Kunden. Heute schreiben wir lieber ein kurzes und knackiges Angebot in ein bis zwei Stunden und verbringen die restliche Zeit der Projektplanung damit, entweder mit unserem Auftraggeber zu sprechen oder wirklich zu arbeiten.
Und was Wirtschaftlichkeit angeht, habe ich einen passenden Auszug aus Rework von 37signals: The truth is every business, new or old, is governed by the same set of market forces and economic rules. Revenue in, expenses out. Turn a profit or wind up gone […] Anyone who takes a „we’ll figure out how to profit in the future“ attitude to business is being ridiculous. That’s like building a rocket ship but starting off by saying, „Let’s pretend gravity doesn’t exist.“ A business without a path to profit isn’t a business, it’s a hobby.
Also sollte man entweder, so wie du sagst, ein paar mehr Groschen verrechnen oder sich überlegen, wie man sonst noch Geld verdienen kann. Und übrigens, dein alter Herr scheint ein weiser Mann zu sein :)
Philipp Rudler — 9. Januar 2012
Nur kurz:
@Stefan - Du zitierst hier Rework, das ich auch vor kurzem gelesen habe. In einem anderen Blog-Eintrag zitierst du/ihr Isaacson’s Biographie über Jobs, die ich ebenfalls kürzlich fertig gelesen hab. Mein Wunsch vll für einen zukünftigen Blog-Eintrag wäre eine Literaturempfehlung! :-)
Stefan — 24. Januar 2012
@Philipp: Ich muss mich kurz per Kommentar melden. Ich will deinen vorgeschlagenen Artikel seit dem Moment schreiben, als ich dein Kommentar gelesen habe. Ich habe schon eine persönliche Liste von Büchern zusammen und auch schon einen Einleitungstext für den Artikel geschrieben. Jetzt will ich noch die einzelnen Bücher kurz beschreiben und erklären, was mich am stärksten daran beeinflusst hat und warum ich gerade diese Bücher empfehle.
Es hat sich gezeigt, dass ich mir schwer dabei tue, meine Lieblingsbücher treffend zu beschreiben und meinen persönlichen Eindruck zu schildern. Einige der Bücher habe ich ja bereits vor Monaten bzw. Jahren gelesen. Was ich jetzt sagen will ist, dass ich die Idee super finde und der Artikel in Kürze online geht.
Hatte nur das Gefühl, dass ich mich mal kurz melden sollte :)